Julia berichtet über New Work als Arbeitskultur

Julia Kümper zum Thema New Work

New Work: Wie uns das Home Office eine neue Arbeitskultur bringen kann

Wir sind alle hineingesprungen: Home Office, New Work, ungestörte Produktivität am heimischen Schreibtisch oder eben auch nonstop Videokonferenzen um alles unter einen Hut zu bekommen. Plötzlich lässt sich von zuhause aus eine Menge mehr bewegen als alle Ratgeber und Visionäre es jemals für möglich gehalten hätten. Weil wir es müssen. Weil hergebrachte Konventionen für unhaltbar erklärt wurden. Vom simplen Handschlag angefangen bis hin zum persönlichen Erscheinen im Büro und schon erst recht keine Meetings mehr! So haben wir alle spontan und mehr oder weniger beherzt die Methoden des New Work in unsere Arbeitsleben gelassen. Wie spannend, vor allem für uns Vereinbarer!
Also habe ich zum Thema New Work eine Dame gefragt, die es wissen muss: Julia Kümper Gründerin Match-Watch GmbH & Geschäftsführerin VentureVilla Accelerator GmbH, ist u.a. Trägerin des New Work Awards (2017). Seit 2018 ist sie ehrenamtlich als Vorbild-Unternehmerin für die Initiative Frauen unternehmen vom BMWi unterwegs. Sie beschäftigt sich intensiv mit den Themen Vereinbarkeit von Familie und Beruf, female founders, Venture Capital, New Work und Role Models.
Liebe Julia,
Sag, wie siehst du die aktuelle explosionsartige Verbreitung von new work: Ist das nicht ein Riesensprung in eine neue Arbeitswelt mit viel Raum für Produktivität?

Zunächst ist es ja eher so, dass analoge Prozesse digital werden (müssen). Das hat per se nichts mit New Work bzw. Veränderung von mindset etc. zu tun. Allerdings sehe ich es schon als große Chance, dass das digitale Arbeiten nun für Viele erfahrbar wird. Denn dadurch bekommen sie das erste Mal selber einen Eindruck davon, wie es ist, digital und remote zu arbeiten. Aber leider unter unglücklichen Rahmenbedingungen und mit schwierigen Prozessen. Denn wirklich vorberietet war auf dieses ad-hoc von zu Hause arbeiten eigentlich niemand. Meine Erfahrung zeigt aber, dass es gerade beim remote arbeiten andere Abstimmungsprozesse und viel mehr strukturierte Kommunikation benötigt.

Viel hilft viel: Von „viel anwesend“ zu „viel Output“ in egal wie viel Zeit 

Verteilen sich jetzt auch Rollen und Wahrnehmungen neu? Wer bisher lang im Büro war, war ja nicht unbedingt auch lang produktiv. Studien haben ja durchaus ergeben, dass Menschen mit engen Bürozeiten und keiner Möglichkeit zu Überstunden (meist Frauen, die vom Job in die Kita sausen müssen) produktiver während ihrer Anwesenheit sind als Menschen, die völlig frei in ihrem Zeitplan sind.

Ich würde das nicht mit oder in Rollen denken. Dass Menschen nun eine andere Art von Produktivität im Vergleich zum „Stunden absitzen“ erleben, sehe ich aber schon. Der Duktus – viel Zeit verwenden bedeutet gleichzeitig erfolgreich sein- wird dadurch sicherlich hinterfragt. Aber die neuesten Studien zeigen ja auch, dass eben im homeoffice auch die Mütter die care Arbeit mehr übernehmen als Väter.

Leistung wird sichtbar – nicht mehr Anwesenheit

Das stimmt. Und es stützt mein Eingangsbeispiel, dass wer wenig Zeit hat, eben schneller und fokussierter arbeiten muss. Was – das stützt sich weniger auf Studien als auf erlebtes und Berichte, durchaus an die eine oder andere Grenze führt. Weil es auch ein Stück Selbstaufgabe wäre, ausgerechnet in diesem Bereich, in dem Frauen sich sichtbar machen, in der jetzigen Phase unterzutauchen. Sozusagen als Extra-Kraftakt, mit dem man sich bei sich selbst bedankt. Bestimmt wird das aber besser, wenn die Alltage wieder funktionieren und in der Arbeitszeit „nur“ gearbeitet werden kann.  
Wir haben jetzt sicher alle eine Lernphase. Es ist ja nicht unbedingt Mentalität gewesen, etwas erstmal anzufangen und sich über die Regeln hinterher Gedanken zu machen. Dabei sind da ja ein paar ganz spannende Fragen dabei: Messbarkeit von Leistung, Nachweis von Leistung, Berichts- und Protokollstrukturen, da muss ja etliches angepasst und hinterfragt werden. Wie siehst Du diese Dinge? Haben wir uns jetzt selbst überholt? Siehst Du die Gefahr eines Rückschlags?

In meinem Umfeld häufen sich die Berichte, dass Chefs nun öfter mal einen Videocall machen um zu prüfen, ob auch wirklich gearbeitet wird. Führungspersonen, die bisher großen Wert auf Kontrolle gelegt haben, ändern ihr Verhalten nicht. Sie suchen andere Wege. Vertrauen ist hier für mich der Schlüssel. Wer ein vertrauensvolles Arbeitsverhältnis hat muss weder digital noch analog kontrollieren. Da braucht es dann auch keine Loginzeiten an digitalen Schreibtischen oder ähnlichem. Wer dies bereits verinnerlicht hat, wird durch die Krise nicht zurückgeworfen. Wer es bisher aber nur als PR Maßnahme gelebt hat und in der sozialen Erwünschtheit trotzdem 9 to 5 gelebt hat, der ist jetzt sicherlich näher am Rückschritt als am Fortschritt.

Netzwerken goes kontaktlos

Auch bestimmte andere Dinge müssen sicher neu gedacht werden. Der große Bereich des networkings und des Kontaktierens und sich-connectens zum Beispiel. Aktuell gibt es ja erste Events bereits digital, etwa die re:publica und die innovate.now. Kommt man da genau so locker ins Plaudern mit anderen? Wie entstehen digital die Zufallskontakte, die es ja oft so spannend machen? Oder wird networking auf allen Kanälen ein noch wichtigeres Softskill? Was sind Deine Ideen?

Genau das ist der Punkt: Zufallskontakte. Es braucht noch viel, bis wir technisch Atmosphäre erzeugen könne, die zum Netzwerken einlädt. Hierzu zählen aus meiner Sicht Avatre, Berührungssensoren, Geruch. Was allerdings auch dort die größte Herausforderung ist: den Zufall steuern. Ein paradox in sich. Wie bilde ich digital ab, dass ich bei einer Veranstaltung zufällig eine nette Sitznachbarin habe, wir ins Gespräch kommen über das nervige all male Panel und danach in Kontakt bleiben? Diese Parallelräume auf verschiedenen Dimensionen während einer analogen Veranstaltung sind digital eine große Herausforderung. ich stelle bei mir selber fest, dass ich digitale Veranstaltungsformate nicht wirklich wahr nehme. Es ist für mich kein Mehrwert. Die Inhalte bekomme ich auch alternativ aufbereitet. Der Mehrwert ist für mich das Vernetzen und Kennenlernen von und mit Personen. Das fehlt.

NEW WORK fokussiert die Bedürfnisse der Menschen – nicht Lifestyle und PR 

Was denkst Du zur aktuellen Situation als Härtefall für Home Office und New Work? Die Gleichzeitigkeit von Familienleben, Arbeit, Schule und Stressfaktoren konzentriert sich in den eignen vier Wänden. Spricht das eher für oder eher gegen New Work? Zeigt es uns im Extrem auch eine Chance auf? Oder ist es eher so, dass es – neben den unbestritten hart geprüften Belastungsgrenzen von arbeitenden Eltern – noch andere Grenzen gibt, die man berücksichtigen sollte?

Würde es den Fokus auf den Kern von New Work – die Bedürfnisse des Menschen in den Mittelpunkt stellen – legen, wäre jetzt die Chance, Großes zu bewegen. Es geht aber ja eher darum, New Work als Lifestyle und PR Maschine zu nutzen und oberflächlich z.B. flexible Arbeitszeiten einzurichten. New Work aus meiner Sicht würde bedeuten, dass die Situation des einzelnen individuell betrachtet wird. Wenn gerade eben homeschooling und Arbeit parallel laufen müssen, was ist für den Menschen möglich? Ist er in der Lage hin und her zu switchen? Braucht er oder sie feste Zeitblöcke? Oder eine Arbeitsfreistellung? Und da ist dann auch egal, ob er im Sinne des Kapitalismus produktiv ist. Wer jetzt die Ausbildung der zukünftigen Generationen verpasst, hat in Zukunft keine Produktivität mehr.

Wie machst Du es selbst? Du bist ja als Mama einer noch relativ jungen Tochter und Geschäftsführerin der Venture Villa in beiden Bereichen stark engagiert und beides lebt durchaus auch von langen Nächten – im Job in Form von Events und Networking. Was macht Dich glücklich? Was ist Dein bester Tipp?

Es zeigt sich gerade, dass es eben nicht unbedingt die Events bis tief in die Nacht sind sondern wertvolle, qualitativ hochwertige Einzelgespräche. Klar ist es komplizierter, neue Kontakte ins Netzwerk aufzunehmen. Aber es ist auch bei einem Event immer eine Überwindung, den ersten Schritt zu machen. Ich sehe gerade tatsächlich viel mehr Vorteile und habe trotz distancing einen engeren Draht zu unseren Startups. Wichtig ist, nicht einfach nur Analoges zu digitalisieren, sondern nach den Bedürfnissen des Einzelnen – also auch sich selber – zu agieren und für diese Bedürfnisse Lösungen zu entwickeln.

Liebe Julia, danke für Deine Antworten zu diesem spannenden Thema. Wäre nicht gerade Corona, wir hätten dieses Interview sicherlich am Rande eines Spielplatzes geführt, Umarmung zur Begrüßung und leckere Getränke aus dem Cafe inklusive. Heute ging es per Mail. Produktiv, nicht ganz so nett wie ein Treffen, aber dafür ohne den Stress einer Terminabstimmung.

Und jetzt alle: Wie realisiert Ihr New Work?

Wie macht Ihr es da draußen? Schafft Ihr mehr? Seid Ihr konzentrierter? Wo holt Ihr Euch die Inspiration, die der Plausch an der Kaffeemaschine Euch sonst gebracht hat? Was sind die Bedürfnisse Eures Arbeitstages, die Ihr nun fokussieren könnt? Und was funktioniert gar nicht mehr?
Bild: Quelle: Überwegs