Menschen sind nicht nur die Personen, die wir im Job sehen. Sie sind auch Menschen mit einem Privatleben, Lieblingsmenschen, Hobbies und vielem mehr

Vom Wort zur Kultur

Vereinbarkeit beschreibt die Diskussion darüber, das Menschen mehrere Sphären in ihrem Leben verbinden. Familie und Beruf. Sport und Beruf. Pflege und Karriere. Gemeinwohl und Ehrenamt und Erwerbsarbeit. Das haben wir alle schon immer getan und wir sollten es auch weiter möglich machen. Weil es ohne das nicht geht.

Was einmal Vereinbarkeit hieß ist in Wahrheit einfach das: Alltag in der Mitte des Lebens

Damals… als ich in 2013 plötzlich einen Kinderwagen neben dem Schreibtisch stehen hatte und nicht nur meine Kaffeetasse, sondern auch die Milchflasche meiner Tochter, da war die Welt noch etwas anders. Wenn ich sie mit zu Terminen nahm, erlebten wir alles von Begeisterung bis zu Ablehnung. Ich erwartete von der Welt einfach, dass wir nun zu zweit genau so akzeptiert würden, wie ich zuvor allein. Das klappte meistens, ich habe auch viele schöne Erinnerungen daran, dass die Begegnungen viel persönlicher wurden. Manchmal klappte es auch nicht. Wie es eben mit Kindern so ist, manchmal sind die Bedürfnisse dann so, dass nur dafür Raum ist. Dann muss man eben umdisponieren. Müssen andere auch, aus tausend verschiedenen Gründen jeden Tag.

Ich hatte ja nicht meinen Kopf verloren, aber jetzt manchmal die Hände voll

Mit Bauklötzen, der Milchflasche oder auch dem Kind auf dem Schoß. Die Projekte, auf die ich wie gewohnt gut vorbereitet war, konnte ich dennoch mit Kind genau so gut präsentieren, erklären, anleiten, vorantreiben oder was es auch war wie zuvor. Damals war ich manchmal wütend. Auf diese leise, tief im Bauch sitzende Weise, die für mich persönlich dafür steht, unberechtigt abgelehnt zu werden. Auf Grund von etwas, das mit dem eigentlich Thema des Kontaktes oder der Interaktion nichts zu tun hat. Als ob man beispielsweise mit Müttern nicht über Marketingprojekte reden könnte. Weil sie eben Mütter sind und mit Geburt des Kindes auf keinen Fall mehr gültige Ansprechpersonen sein können.

Die wahre Blockade steckt im Anzug: Wie kleidet sich eigentlich Potential?

Ich glaube mittlerweile, dass das eigentlich ein Problem in den Köpfen der Menschen uns gegenüber ist. Tatsächlich kann ich mir manchmal nicht anders helfen als es mit den vorgegebenen Insignien zu verknüpfen, die mit Erfolg assoziiert sind. Die aber tatsächlich eher die Hülle der Kompetenz sind. Wer weiß, ob auch tatsächlich Erfolg drinsteckt? Ein Anzug macht noch kein Gehirn, eine schicke Businesstasche und eine Uhr bekommt man nicht vom Denken können und auch nicht, weil man so gute Lösungen findet. Und müssten nicht gerade diese Menschen, die in gestaltenden Positionen sitzen, erst recht zu schlau sein für Vorurteile, Biases und dergleichen? Und neugierig darauf, das Potential einer Welt zu entfalten, in der man auf die Menschen und ihre Fähigkeiten und die Power des gemeinsam Erreichbaren schaut?

Selbst betreuen oder fremdbetreuen

Für uns gab es damals gar nicht die Diskussion. Das Kind würde zunächst bei mir sein und eben meine Wege mitgehen. Da waren wir klar. Wir haben es uns auch schön gemacht und vieles, das unterwegs mit Kind notwendig ist, für uns zum Guten ausgenutzt. Auch und insbesondere rund um Veranstaltungen, Termine und vieles mehr. So war dieses erste und auch die folgenden Kinder wann immer möglich dabei und hat vieles gesehen und miterlebt. Schon heute merkt man, dass sie daraus eine große Souveränität gewonnen hat. Situationen, in denen es darum geht, mit zuständigen Personen über Bedürfnisse zu sprechen, sind keine Herausforderungen mehr. Sie haben die Sicherheit, dass es richtig ist, eine Aufsichtsperson nach etwas zu fragen oder im Restaurant zu erklären, wie genau das Gericht denn zubereitet sein soll oder welche vegane Alternative in Frage käme.

Lebensphasenorientierte Karriereschritte

Je nach Perspektive: in der HR-Abteilung heißt es vielleicht lebensphasenorientierte Personalentwicklung. In der Perspektive der Menschen, die genau das für sich benötigen heißt es vielleicht eher Vereinbarkeit oder auch Karrierewunsch in Teilzeit oder es gibt dafür genau so viele Namen, wie es individuelle Situationen gibt. Beide Seiten haben große Chancen in Händen. Sie sind in der Lage, die Rahmenbedingungen für Erwerbsarbeit so zu gestalten, dass es für alle Beteiligten passt. Gesetze und auch Gremien geben dabei Bedingungen vor, die letztlich dem Schutz der Arbeitnehmer dienen sollen. Ob diese zu starr sind und einer Arbeitswelt in 2024 noch gerecht werden, werden wir sicher weiter aushandeln und gestalten.

Was heißt das nun für uns?

Schön, dass Ihr hier seid. Dass Ihr Reichweite mitgestaltet, lest, kommentiert (auf Social Media etc). Mich ausfragt, inspiriert und ich Euch fragen darf, wie ihr es macht. Ich selbst bin oft noch relativ klassisch unterwegs. Einerseits, weil die Strukturen hier auf dem Land so sind, dass ein „Ganztag“ exakt von 7.45 Uhr bis max 15.15 Uhr dauert (alle Großstädter:innen liegen gerade lachend unterm Schreibtisch, oder?). Andererseits, weil ich deshalb dann direkt lieber selbst mit den Kindern die Mittagszeit gestalte und nachmittags/ abends nochmal nachhole, was fertig werden muss. Und dennoch ist es so wichtig, dass wir sichtbar machen, wie Familien sich aufstellen, die eben andere Notwendigkeiten als diese abbilden wollen.

Und so hat sich der Begriff der Vereinbarkeit einerseits überlebt

Denn er ist eigentlich eine Frechheit gegenüber dem, was geschieht. Familien wollen alles haben. Kinder und Karriere. Schöne Häuser, tolle Urlaube und inspirierende Kultur. Ein „Dorf“, das ihre Kinder großzieht. Das maximalen Input sowohl inhaltlich als auch in Sachen Sozialleben lernen bietet. Und die absolute Geborgenheit, die nur quality time in der Familie bietet. In der alle ganz privat so sein dürfen, wie sie eben nur zuhause sind.

Und ist andererseits zum Glück so präsent und gestaltend wie nie zuvor

Modelle für Karrieren und Betreuung entstehen überall. Viele sind bedarfsgerecht angepasst und doch ist das Lernen voneinander, das Teilen bester Praxis so wichtig. Machen wir sie weiter sichtbar und wenn Ihr wollt bleiben wir dafür auch noch für eine Weile bei dem Begriff…