Prof. Dr. Florian Kunze, unser Ansprechpartner für Arbeitskultur und Führung im Arbeiten auf Distanz (Foto: privat)

Prof. Dr. Florian Kunze, unser Ansprechpartner für Arbeitskultur und Führung im Arbeiten auf Distanz (Foto: privat)

Bringt Corona die Vereinbarkeit voran? Prof. Dr. Florian Kunze im Interview mit Vereinbarkeit.de

Viele individuelle Erfahrungen machen die Geschichten über Vereinbarkeit aus. Und vielleicht ist es auch genau so richtig, dass man sehr individuell schaut, was in Betrieben verändert werden kann und was hingegen aus tausend Gründen so bleiben soll, wie es eingeübt ist. Unsere Arbeitskultur prägt unsere Erwartungen an den Umgang miteinander. Was gilt für alle? Was können wir als „Null-Linie“ erkennen und wo sind Schwierigkeiten, die auch nachzuweisen sind? Wie verändert sich work culture?

Antworten hat Prof. Dr. Florian Kunze, einer der führenden wissenschaftlichen Experten zu den Themen Generationenmanagement, erfolgreiche Führung, Personalmanagement, Digitalisierung in der Arbeitswelt und erfolgreiches Arbeiten im Homeoffice

Ist es also unsere Kultur, die uns im Weg steht, wenn wir über Vereinbarkeit reden?

Das Zitat von Peter Drucker, das ich in die Überschrift aufgenommen habe, habe ich in einem Ihrer Vorträge kennen gelernt. Das ist ja eine spannende Grundaussage.

Ja in der Tat würde ich Ihnen zustimmen, dass Organisationskultur und daraus resultierendes Verhalten und Praktiken sich ändern müssen, damit Vereinbarkeit von Beruf und Familie sich nachhaltig verbessern kann. Die Herausforderung ist allerdings das ein solcher kultureller Wandel einen langen Atem und große Anstrengungen bedarf.

Die Pandemie beschleunigt die Transformation

Corona, das Brennglas für Veränderungen: Mittlerweile ist das mehr als eine Platitüde. Plötzlich gehen so viele Dinge im Arbeitsleben. Etwa Pünktlichkeit bei Meetings. Arbeiten von überall – was auf Grund der Situation natürlich zumeist das Home Office ist. Ergebnisse kontrollieren anstelle von Arbeitszeit. Da kommt ein neues Normal oder sehen Sie einen Weg zurück in die alten Strukturen?

Meine Vermutung ist, dass wir durch Corona eine starke Transformation der Arbeitswelt erleben werden. Insbesondere beim flexiblen und mobilen Arbeiten, wird es den Arbeitgebern nicht gelingen das Rad wieder zurück zu drehen und wieder eine komplette Präsenzpflicht im Büro einzuführen. Die Pandemie hat gezeigt, dass mobiles Arbeiten für eine Vielzahl von Beschäftigten und Tätigkeiten gut funktioniert. Gerade um in Zukunft noch ein attraktiver Arbeitgeber zu sein, wird man gezwungen sein Homeoffice und flexible Beschäftigungsmöglichkeiten anzubieten.

Vereinbarkeit erfordert auch neue Strukturen bei jedem selbst.

Wenn man Mittagszeit mit den Kindern macht und sie dann in den Nachmittag begleitet, ist man eben in der Zeit nicht ernstzunehmend verfügbar für den Job. Dafür sitzt man sicher gern und freiwillig abends nochmal am Schreibtisch oder geht für die Nachmittags-Telefonkonferenz mit den Kindern auf den Spielplatz. Kinder beschäftigt, Mutti oder Papi Ohren frei fürs Gespräch. Ganz ohne externe Betreuung. Wie weit weg sind wir davon, dass sich so etwas durchsetzt?

Meinem Verständnis nach ist es die größere zeitliche Autonomie, gerade für Familien und Betreuungsaufgaben, die Beschäftigte sehr am mobilen Arbeiten schätzen. Die strikte Trennung zwischen Arbeits- und Privatleben, die sich noch aus Produktionstätigkeiten aus der industriellen Produktion ergibt, wird dadurch aufgehoben. Diese Flexibilisierung wird sich in Zukunft immer stärker durchsetzen. Gleichzeitig ist es aber aus Arbeitgebersicht und auch für die gesamte Produktivität von Teams und Abteilungen wichtig, dass es verbindliche Zeiten gibt, in denen man erreichbar ist und in denen gut kommuniziert werden kann. Hier eine gute Balance zwischen Flexibilisierung und fixen Strukturen hinzubekommen, ist die Herausforderung, vor der Unternehmen, aber auch Beschäftigte aktuell stehen.

Wie entsteht Fokussierung zuhause?

Kleines Off-Topic: Ich habe selbst beobachtet, dass ich in Telefonkonferenzen bestens konzentriert bin, wenn ich mit Headset arbeite und die Hände tatsächlich mitunter simple Tätigkeiten verrichten, etwa die Kartoffeln fürs Mittagessen schälen. Ich kann auch bei Teams das Display so halten, dass niemand sieht, dass unter meinen Händen Gemüse zu Stückchen wird. Es würde mich deutlich mehr stressen, still zu sitzen und zu wissen, dass all diese Aufgaben NACH dem Telefonat noch auf mich warten, schlimmstenfalls unterbrochen von Fahrzeit zwischen Büro und Kinder-Abholen. Ist das so abwegig? Die berühmte Waschmaschine, die man dann eben pünktlich ausräumen kann: Ist sie so verwerflich? Oder ist das eher ein Kulturproblem? Wie viel Freiheit bzw Toleranz ist da gut für uns und unsere Arbeitsergebnisse?

Spannende Frage. Ich glaube das ist eine Typfrage und auch davon abhängig welche Rolle sie in dem Meeting haben. Wenn sie die Moderatorin sind oder andere Teilnehmenden von ihren Punkten überzeugen wollen, ist es wahrscheinlich nicht besonders förderlich solches Multitasking zu machen. Anderseits ist auch die digitale Ablenkung, wenn man vor dem Computer sitzt auch sehr nah und verführerisch. Wir wissen aus der Lernforschung zum Beispiel, wie stark reduziert die Aufnahme von Input ist, wenn man nur ein anderes Browserfenster oder den Mailaccount offen hat. Meine generelle Empfehlung, besonders an Führungskräfte, wäre deshalb, eher solche Meetings nur mit Bedacht einzusetzen und möglich kurz zu halten. Besonders lange in Videokonferenzen zu verweilen, das wissen wir auch aus unseren Forschungsergebnissen in der Konstanzer Homeoffice Studie, kann sehr ermüdend für die Teilnehmenden sein.

Führung auf Distanz muss neu gedacht werden

Als Experte für Führung: Was sind Ihre Beobachtungen bezüglich Führungskräften, die Mitarbeitern so viel Freiheit in der Arbeit gewähren? Ich hätte die These, dass insbesondere Menschen, die schon lange im Büroleben sozialisiert sind, ihre Schwierigkeiten damit haben, auf die Leistung zu vertrauen.

Die in vielen Betrieben vorherrschende Präsenz- und Kontrollkultur ist wirklich eine Herausforderung. In unseren Befragungsdaten einer repräsentativen Studie der Erwerbsbevölkerung sehen wir zum Beispiel, dass Mitte Oktober 30% derjenigen, die im ersten Lockdown im Frühjahr im Homeoffice waren, wieder komplett ins Büro zurückgeholt wurden. Interessanterweise ist bei dieser Gruppe die Produktivität deutlich niedriger und die Erschöpfung deutlich höher, als bei denjenigen Mitarbeitenden, die weiter flexibel arbeiten können. Hier muss also noch in vielen Organisationen der schon oben angesprochene Kulturwandel stattfinden, und Führungskräfte müssen es schaffen vertrauensbasiert zu führen.

Präsenz ist nicht gleich Produktivität

Mein Gegenargument ist meistens, dass es auch in Präsenzkulturen Möglichkeiten gibt, unproduktiv zu sein. Und dass, wer sich mit seiner Aufgabe identifiziert, immer produktiv ist. Wahrscheinlich sogar nachts im Schlaf, der hoffentlich ja auch nicht im Büro stattfindet.

Ja, da würde ich zustimmen. Präsenz mit Leistung gleichzusetzen ist häufig ein Trugschluss. Mitarbeitende, die Verantwortung übertragen bekommen und dadurch eine hohe intrinsische Motivation beziehen, sind sicherlich deutlich motivierter, kreativer und auch produktiver, auch wenn sie nicht ständig in Präsenz ihre Zeit absitzen.

Größere Herausforderungen für Führungskräfte

Ziele und Projekte haben nochmal mehr Relevanz bekommen. Wenn man sich nicht täglich sieht, auch keine Zufallsgespräche mehr stattfinden, muss die Führungskraft doch umso deutlicher Ziele und Richtungen vorgeben, damit Motivation und das Gefühl, für den Teamerfolg wichtig zu sein, erhalten bleiben. Muss da nachgelernt werden? Wie gut hat das Ihrer Einschätzung nach „immer schon“ geklappt? Oder: wie groß sind da die Lücken zwischen Erwartungshaltung und Ist-Situation?

Das stimmt. Für Führungskräfte bringt das deutliche höhere Herausforderungen mit sich, insbesondere Projekte zu steuern, bei denen es auf dem Austausch der Mitarbeitenden ankommt. Obwohl es immer bessere Tools und Plattformen für Digitale Zusammenarbeit gibt, ist es hier am besten auch regelmäßig in Präsenz zusammen zu kommen, wenn dies die Pandemielage wieder zulässt. Auch die Befragten in unserer Studie wünschen sich keine reine Tätigkeit im Homeoffice, sondern eine Mischung zwischen 2-3 Tagen mobilen Arbeiten und dem Rest der Wochen Arbeiten in Präsenz. Eine Gestaltung einer solchen hybriden Arbeitsform, ist aus meiner Sicht der Erfolgsfaktor für Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch nach Corona.

Herr Professor Doktor Kunze, vielen Dank für dieses Gespräch! Es bleibt spannend: Die Arbeitskultur ist im Fluss, wir dürfen sicherlich in den kommenden Monaten immer mehr beobachten, wie sich alles verändert. Bleiben wir neugierig!

Über Prof. Dr. Florian Kunze:

Prof. Dr. Florian Kunze ist einer der führenden wissenschaftlichen Experten zu den Themen Generationenmanagement, erfolgreiche Führung, Personalmanagement, Digitalisierung in der Arbeitswelt und erfolgreiches Arbeiten im Homeoffice. Zuvor hat er an renommierten internationalen Universitäten wie der Universität St. Gallen und der University of California Los Angeles (UCLA) geforscht und gelehrt. Er hat mehr als 70 Publikationen veröffentlicht. Diese wurden wiederholt in renommierten Medien wie der Wirtschaftswoche, dem Economist, der Financial TimesForbes und dem Wall Street Journal aufgegriffen. Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit berät Professor Florian Kunze regelmäßig Firmen (von KMUs bis zu Dax Konzernen) zu effektiven Ansätzen für zukunftsorientiertes Führungsverhalten und Personalmanagement. In seinen inspirierenden Vorträgen verbindet er gekonnt spannende Erkenntnisse aus der aktuellen Management- und Führungsforschung mit konkreten Praxisbeispielen für Firmen und Führungskräfte. www.professorkunze.de