Herzlich willkommen, Gesine Engelage-Meyer, schön, dass Du uns Deine Version von Vereinbarkeit verrätst 

Deine Kinder sind: Tom (8 Jahre) und Marleen (1 Jahr)

Kurz zur Einordnung: Wie ist Deine Biografie? Ausbildung, Jobstationen?

Nach einer Ausbildung zur Hotelfachfrau und einem halben Jahr als Commis de Rang im Atlantik Hotel Hamburg studierte ich Technische BWL mit Logistik-Schwerpunkt an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Zahlen, Daten, Fakten und Prozesse hatten es mir schwer angetan, nach einer praktischen Diplomarbeit im Bereich Supply Chain Management bei der Traditionsfirma Montblanc in Hamburg blieb ich deshalb dann 10 Jahre dort und durfte diverse Bereiche kennenlernen, globale Projekte leiten und Veränderungen verantworten. Bei all dem kam mir das Zwischenmenschliche viel zu kurz, diesem Aspekt wandte ich mich dann mit Ausbildungen zum Business Coach, Trainer, Change Manager und Moderator zu. Damit war ich dann bereit für die Selbständigkeit und gründete die VERÄNDERUNGSBASIS in 2014. Mit meinem Unternehmen und einem kleinen Team von Gleichgesinnten unterstütze ich Menschen in Unternehmen leidenschaftlich gerne dabei, sich auf notwendige Veränderungen und Weiterentwicklungen einzulassen.

 

Wie hast Du vor den Kindern gearbeitet?

Vor den Kindern habe ich Vollzeit gearbeitet, auf dem Papier 40 Stunden, faktisch aber eher 50 Stunden die Woche, dazu viele Geschäftsreisen.

 

Hattest Du Auszeiten? Wie lange? Bist Du in der Mutterrolle aufgegangen oder hast Du den Job vermisst?

Als mein Sohn kam, konnte ich als Angestellte die üblichen 6 Wochen vor der Geburt frei nehmen, danach bin ich 10 Monate zu Hause geblieben. 6 Monate davon konnte ich genießen, ab dann habe ich meine Rolle außerhalb von zu Hause zunehmend vermisst.

Als meine Tochter zur Welt kam, war ich bereits seit 2 Jahren selbständig und meine Firma begann gerade sehr Fahrt aufzunehmen. Darum hatte ich keine vollständige Auszeit. Als die Fruchtblase platzte, habe ich noch mal schnell den Laptop aufgeklappt und die letzten E-Mails geschrieben.

Nach der Geburt habe ich 3 Monate von zu Hause gearbeitet, ab dem 4. Monat habe ich 3 Tage die Woche gearbeitet, ebenso wie mein Mann. Den einen Tag, den wir uns überschnitten, hat sich unsere Kinderfrau, die unsere Familie bereits seit vielen Jahren unterstützt, gekümmert.

Ich habe das Nebeneinander von Familie und Job meistens genossen, so hatte ich das Beste aus beiden Welten. Da es meine eigene Firma ist, ist es auch meine eigene Entscheidung, wann ich wieviel arbeite. Deswegen fühlt es sich viel selbstbestimmter an, als wenn mir ein(e) Vorgesetzte(r) vorgeben würde, was bis wann zu tun ist.

 

Hat es durch die Mutterrolle ein Umdenken in der Einstellung zum Job gegeben? Hat die sich auf die Arbeitssituation niedergeschlagen?

Ja, es gab definitiv ein großes Umdenken. Die Bedeutung des Jobs hat sich relativiert, es fiel mir viel leichter pünktlich Schluss zu machen mit der Arbeit, da als nächstes ein Termin mit einem wunderbaren Wesen anstand. Zudem bin ich sehr viel pragmatischer geworden, meinen Perfektionismus kann ich besser zügeln als Mutter. Und mein Verständnis für individuelle Lebenslagen ist gewachsen. Viele Situationen muss man erst erleben, um sie nachempfinden zu können. Das ist so mit Kindern, und eben auch mit anderen Lebensbereichen und -herausforderungen.

 

In wenigen Stichpunkten: Wie arbeitest Du heute? Im erlernten Beruf? Warum evtl. nicht?

Heute begleite ich Menschen in beruflichen Veränderungs- und Entwicklungssituationen, meine Rolle wird je nach Kontext als Prozessbegleiter, Change Manager, Moderator, Coach, Trainer, Teamentwickler und Konfliktklärer bezeichnet. Meistens arbeite ich für große Unternehmen, Privatmenschen darf ich auch hin und wieder begleiten. Diese coache ich zum Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ mit meinem Coaching Programm happyjobmama.de – oder begleite sie in die berufliche Veränderung für mehr innere Zufriedenheit.

 

Wie kam es dazu?

Die Rationalität und Zahlenlastigkeit meines ursprünglichen Arbeitsumfelds, der Logistik, kam mir mit der Geburt meines Sohnes in 2009 zunehmend einseitiger vor. Während der 10 Monaten Elternzeit mit meinem Sohn fing es an, dass ich davon träumte, intensiver mit und für Menschen zu arbeiten. Danach stieg ich jedoch erst mal wieder in meinen alten Job als Supply Chain Managerin mit einer 80% Stelle ein. Die Tage waren dann so intensiv gefüllt, dass mein Sehnen nach „mehr Menschenthemen in Unternehmen“ in den Hintergrund rückte. Manchmal wachte ich jedoch nachts davon auf, dass der Wunsch wieder anklopfte.

Eine echte Zäsur kam dann in Form eines privaten Ereignisses, dass mich als Person und auch uns als Paar herausgefordert hat. Was davon blieb und weiterhin präsent ist, ist mein Mut zum Wahrmachen meines Berufstraumes. Und damit der Grundstein für die VERÄNDERUNGSBASIS.

 

Wie viele Stunden pro Woche arbeitest Du? Wie ist Dein Kind derzeit betreut? Inwiefern bringt sich der Vater/ Lebensgefährte ein?

Als Selbständige kann ich meine Arbeit nur schwer in Stunden aufrechnen. Meistens arbeite ich 5 Tage die Woche, wobei ich davon ca. 2 Tage die Woche ganztags bei Kunden bin. Die restliche Zeit bereite ich Workshops und Change Konzepte vor und nach – und kümmere mich um den weiteren Aufbau meiner Firma. Die Tage, die ich nicht bei Kunden bin, kann ich glücklicherweise sehr frei gestalten, so dass Kindertermine in der Schule, in der Kita oder sonst wo, gut zu integrieren sind. Mein Sohn besucht eine Ganztagesschule, meistens wird er dort zwischen 16 und 17h abgeholt. Meine Tochter ist in einer Ganztageskrippe, dort ist sie meistens von 9 bis 16.30h.

Mein Mann bringt sich sehr viel ein. Wir haben ein sehr gleichberechtigtes Konzept, da wir beide voll arbeiten. Deshalb teilen wir uns alles, was rund um die Familie und im Haushalt anfällt, möglichst gleichmäßig auf.

Zusätzlich gönnen wir uns den Luxus einer liebevollen seniorigen Kinderfrau und einer Teenager-Babysitterin. Das ermöglicht meinem Mann, regelmäßig abends seiner Sportleidenschaft nachzugehen, und mir erleichtert es die Geschäftsreisen sehr. Außerdem tut es uns als Paar und damit auch unseren Kindern gut, wenn wir wenigstens einmal im Monat zu zweit ausgehen und ein- bis zweimal im Jahr ein Paarwochenende verbringen. Unbedingt erwähnen möchte ich auch noch die Unterstützung meiner Schwester sowie meiner Schwiegermutter bei der sporadischen Betreuung unserer Kinder. Wir kommen also dem sprichwörtlichen „Dorf“, das es braucht, um Kinder groß zu ziehen, schon verdächtig nahe.

 

Wie klar trennst Du zwischen Familie und Beruf?

Während ich arbeite, bin ich sehr konzentriert, fast schon in einem Tunnel (was man ja eigentlich den Männern eher nachsagt). Meine Kinder sind dann in meinem Herzen, aber da ich sie sehr gut betreut weiß, denke ich nicht pausenlos an sie.

Zuhause bemühe ich mich sehr um das gegenteilige Modell, also volle Konzentration auf meine Mama-Aufgaben. Das heißt z.B., dass ich dann auch nicht ans Business-Handy gehe, sondern lieber am nächsten Tag zurückrufe oder eine E-Mail schreibe, wenn die Kinder im Bett sind. Es gibt aber ehrlich gesagt auch Ausnahmen in beiden Welten.

 

Hast Du das Gefühl, durch die Familie im Job zurückstecken zu müssen? Hast Du das Gefühl, dass man Dir z.B. als working mom weniger zutraut/ Dich anders behandelt als wenn Du kinderlos wärst?

Nein, dieses Gefühl habe ich überhaupt nicht. Allerdings mache ich meine Kinder im Job auch nicht zum Thema, es sei denn, ich werde bewusst danach gefragt.

 

Hast Du bewusst Bürozeit, also mögliche Zeit, in der kinderfrei arbeitende Menschen sich in ihren Arbeitsräumen treffen, freigehalten für die Familie, etwa um die Nachmittage mit den Kindern zusammen zu gestalten? Verlässt Du das Büro pünktlich, um sie aus der Betreuung abzuholen?

Ein klares Ja. Wenn ich nicht beim Kunden bin, dann verlasse ich das Büro spätestens um 15.30h, um meine Kinder abzuholen. Als Kinderlose fing ich um diese Zeit oft erst an, die dicksten Bretter zu bohren.

Freitags versuche ich den Nachmittag komplett frei zu halten für gemeinsame Familienzeit.

 

Wie siehst Du das Spannungsfeld, einerseits im Job viel geben zu wollen, andererseits Zeit mit den Kindern haben zu wollen? Sind Dein Berufsfeld und Dein Arbeitgeber offen für z.B. abendliches Nachholen dieser Zeiten im Home-Office?

Das Spannungsfeld ist sehr groß. Das schlechte Gewissen ist ein täglicher Begleiter. Es gibt Tage, da gebe ich alles als Mutter, aber dafür muss der Job zurückstecken. Und eben die Tage, an den ich alles gebe im Job, z.B. auf Geschäftsreisen. Dann klopft aber eben die innere Stimme an und fragt, welche Konsequenzen das für meine Kinder hat. Die beiden Lebensbereiche sind wie streitende Alphatiere, von denen keiner nachgeben möchte. Als Selbständige habe ich zum Glück großen Einfluss auf meine Terminplanung und nutze die Flexibilität zu Gunsten meiner Familie.

 

Hast Du Hilfe mit den Aufgaben des Alltags? Haushalt, Putzen, Kochen…? Oder geht das auch von der Familienzeit ab?

Da hole ich mir maximale Hilfe, damit Familienzeit überbleibt, und hier und da auch mal Zeit für mich selbst. Ich habe eine Putzfrau, eine Kinderfrau, einen Babysitter, einen Fensterputzer, lasse gerne auch mal Essen oder die Einkäufe liefern, vor allem während der Babyzeit der Tochter wusste ich die Lieferung von voluminösem Bedarf mit viel Verbrauch sehr zu schätzen (Windeln z.B.). Glücklicherweise ist mein Job so profitabel, dass ich mir diese Arbeitserleichterung leisten kann.

 

Was wären Deine drei größten Wünsche an die Arbeitswelt für Mütter/ für Deine konkrete Situation?

Ich höre oft: Die Gesellschaft muss ich sich ändern. Mein Wunsch ist, dass wir uns bewusst werden, dass jede(r) Einzeln(e) von uns diese Gesellschaft ausmacht. Daher meine größten Wünsche:

  • Lasst uns alle mehr Toleranz gegenüber den vielfältigen Lösungen zeigen, die es für die Vereinbarkeit von Job und Familie gibt. Das heißt für Vollzeit-Mütter, dass sie eine „auch Deine Lösung ist o.k.“ Haltung gegenüber den Volljob-Müttern an den Tag legen. Und anders herum genauso: Volljob-Mütter wie ich mögen auch den Vollzeit-Müttern gegenüber eine wertschätzende Haltung einnehmen.
  • Mehr Mut in den Betrieben (also vor allem in den Geschäftsführungen) familienfreundliche Zeitmodelle konsequent umzusetzen (z.B. keine Standard-Meetings nach 16 Uhr), weg von der Präsenzkultur hin zur Ergebniskultur
  • Dass wir Mütter beherzt kämpfen für eine gleichberechtigte Rollenverteilung zu Hause, also Konfliktthemen mit unseren Männern ausdiskutieren und uns nicht sang- und klanglos in die klassische Rollenverteilung begeben sobald Kinder auf der Welt sind

 

Sind die gerade beschriebenen Wünsche nur für Mütter hilfreich? Oder sollte sich generell etwas ändern? Könnte man Deine beschriebenen Punkte für alle möglich machen?

Veränderung fängt immer bei uns selbst an. Also sollten wir Mütter unsere Einflussbereiche konsequent nutzen, und damit indirekt dann auch Veränderung bei anderen anstoßen.

 

Wie siehst Du das Thema gleichberechtigte Elternschaft? Die Statistik für Deutschland gibt her, dass zumeist der Mann immer noch den größten Teil zum Familieneinkommen beiträgt. Das bedeutet auch, dass er weniger Rücksicht auf die Familie nimmt und den Job höher priorisiert: Überstunden, Dienstreisen und anderes gehen dann auch zu Lasten der Flexibilität der Frau. Wie stehst Du dazu?

Das Thema „Gleichberechtigung“ erlebe ich als Auslaufmodell, sobald es um die Finanzen geht. Leider ist es in viel zu vielen Fällen immer noch so, dass die Männer mehr verdienen als die Frauen, und da ist es oft eine finanzielle Entscheidung (z.B. weil ein Haus abzubezahlen ist), dass die Männer eben auch das Einkommen maximieren und die Frauen ihren finanziell weniger lukrativen Job mehr oder weniger an den Nagel hängen.

In meiner Familie leben wir die gleichberechtigte Elternschaft. Begünstigt allerdings auch dadurch, dass ich schon immer mehr verdiente als mein Mann, da in meiner Branche ganz anders vergütet wird als in seiner.

Mir gefällt daran sehr das „auf Augenhöhe“ sein, sowohl beruflich als auch familiär.  Ich muss aber so ehrlich sein, dass ich nicht weiß, ob wir uns für dieses Modell auch bei einer anders gelagerten Einkommensverteilung entschieden hätten.

Die Frage, die ich hierzu gar nicht leiden kann, ist: „Ach, Du musst also arbeiten?“, meistens gestellt von Frauen. Das blendet für mich vollkommen aus, dass wir Frauen auch mit Leidenschaft bei der Arbeit sein können und aus freien Stücken ?

 

Falls Du gerade laut „ändern“ gerufen hast: Welches Modell erscheint Dir ideal?

Ideal ist jedes Modell, mit dem im Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten, alle gut leben können (Eltern und Kinder). Es lohnt sich, diesen Zufriedenheitsstatus regelmäßig zu hinterfragen, und bei Bedarf das Modell auch zu ändern.